Adis und Dahy

(Wieland)

In der Gegend von Masulipatnam, einer Stadt des Königreichs Golkonde, wohnte eine gute Frau, die ihr verstorbener Mann, mit zwei sehr artigen Töchtern auf dem Halse, in geringen Umständen hinterlassen hatte. Die älteste, namens Fatime, hatte siebzehn Jahre, und Kadidsche, die jüngste, kaum zwölfe. Sie wohnten in einer einsamen abgelegenen Hütte und nährten sich bloß von der Arbeit ihrer Hände. Ein Bach, der nicht weit von ihrer Hütte entsprang, lieh ihnen sein Wasser, um das Leinengeräte einiger Personen in Masulipatnam zu waschen, die schon von langem her ihre Kundsleute waren. Sobald die gute Bäurin und ihre Töchter ein Stück Wäsche recht schön gewaschen und getrocknet hatten, pflegten sie es mit Blumen zu überstreuen, damit es wohlriechend würde.

Eines Tages, da die Mutter in dieser Absicht Blumen auf der Wiese pflückte, kneipte sie, ohne es gewahr zu werden, eine Natter, die unter einer Hyazinthe verborgen lag, in den Schwanz. Der giftige Wurm rächte sich auf der Stelle und biß die arme Frau so heftig in den Finger, daß sie laut aufschreien mußte. Ihre Töchter liefen erschrocken herbei und fanden den Finger schon gewaltig aufgeschwollen; in weniger als einer Viertelstunde war das Gift schon in die edlern Teile eingedrungen, und es griff so schnell um sich, daß keine Rettung war. Da die unglückliche Frau sich ihrem Ende so nahe sah, wollte sie noch die letzte Pflicht einer guten Mutter erfüllen und sprach zu ihren Töchtern: «Liebe Kinder, mir ist leid, daß ich zu einer Zeit, wo ihr meiner noch so nötig hättet, von euch scheiden muß: aber meine Stunde ist gekommen; ich sehe den Todesengel sich nähern, und wir müssen uns trennen. Was mich tröstet, ist, daß ich mir wegen eurer Erziehung keinen Vorwurf zu machen habe und daß ich euch, Dank sei dem lieben Gott, als gutartige fromme Kinder hinterlasse. Bleibet immer auf dem guten Wege, auf den ich euch geführt, und habt die Gebote unsers großen Propheten immer vor Augen. Nährt euch von eurer kleinen Arbeit, wie wir bisher getan haben; der liebe Gott wird euch nicht verlassen. Besonders empfehle ich euch, im Frieden beisammen zu leben und, wo möglich, euch nie voneinander zu trennen; denn euer ganzes Glück beruht auf eurer Einigkeit. Du, liebe Kadidsche, bist noch ein Kind; gehorche deiner Schwester Fatime; sie wird dir niemals einen schlimmen Rat geben.»

Nach dieser Vermahnung fühlte die gute Frau, daß die Kräfte sie verließen; sie umarmte ihre Kinder zum letzten Mal und starb in ihren Armen. Der Schmerz ist über allen Ausdruck, der die armen Mädchen überfiel, da sie ihre Mutter ohne Leben vor sich liegen sahen; sie zerflossen in Tränen und erfüllten die ganze Gegend mit ihrem Jammergeschrei. Endlich, da sie sich die Augen schier ausgeweint hatten, sanken sie in eine Art von Betäubung, woraus sie durch die Notwendigkeit erweckt wurden, dem Leichnam ihrer Mutter die letzte Ehre anzutun. Sie nahmen jede ein Grabescheit, dessen sie sich sonst bedienten, ein kleines Gemüsgärtchen an ihrer Hütte zu bauen; gruben, etwa fünfzig Schritte weit davon, ein Grab; trugen mit vieler Mühe den Leichnam hinein und bedeckten ihn mit Erde und Blumen. Hierauf kehrten sie in ihre Hütte zurück, wo der Schlaf, den ihnen die Abmattung von dieser traurigen Arbeit verschaffte, sie auf einige Stunden in ein erquickendes Vergessen ihres Kummers senkte.

Des folgenden Tages stellte Fatime, als die Verständigere, ihrer Schwester vor, daß sie nun wieder an ihre Arbeit gehen müßten, und hieß sie zwei Körbe mit der Wäsche füllen, welche sie den Tag vor ihrem Unglück gewaschen hatten; hierauf setzten sie die Körbe auf den Kopf und traten den Weg nach Masulipatnam miteinander an. Sie hatten kaum hundert Schritte zurückgelegt, so begegnete ihnen ein kleiner, sehr häßlicher, kahlköpfichter und bucklichter alter Mann, der aber ziemlich reich gekleidet war und sie mit großer Aufmerksamkeit betrachtete. Er schien nahe an hundert Jahre alt zu sein und stützte sich auf einen Stab, mit dessen Hülfe er gleichwohl, für sein hohes Alter, noch stattlich genug einherstapfte. Der Greis fand die beiden Schwestern nach seinem Geschmacke. «Wo hinaus, ihr schönen Kinder», redete er sie mit einem Ton an, den er so sanft und gefällig, als ihm möglich war, zu machen suchte. «Wir gehen nach Masulipatnam», sagte die Älteste. «Darf ich euch, ohne allzu große Zudringlichkeit, fragen», versetzte er, «was eure Lebensart ist und ob man euch nicht irgend einige Dienste leisten könnte?» «Ach, guter Herr», erwiderte Fatime, «wir sind nur einfältige Bauernmädchen und arme Waisen, wir haben erst gestern durch den unglücklichsten Zufall unsre Mutter verloren.» Und darauf erzählte sie ihm die Geschichte mit allen Umständen, nicht ohne von neuem viele Tränen zu vergießen. «Oh, wie leid tut es mir», sagte der Greis, «daß ich eure Mutter nicht vor ihrem Tode noch gesehen habe! Ich hätte ihr ein Geheimnis gegen alle giftige Wunden geben können, das sie in zwei Tagen wieder gesund gemacht haben sollte. Meine lieben Kinder», fuhr er fort, «euer Kummer geht mir zu Herzen, und ich erbiete mich, Vatersstelle bei euch zu vertreten, wenn ihr so viel Vertrauen zu mir fassen könnt, die Sorge für euer Schicksal meiner Erfahrenheit und meinem guten Willen zu überlassen. Ich gestehe euch», fügte er hinzu, indem er einen Blick auf die junge Kadidsche warf, «daß ich eine starke Zuneigung zu diesem liebenswürdigen Mädchen in mir finde. Ihr erster Anblick hat Empfindungen in mir erregt, die ich noch nie gefühlt habe. Wenn ihr beide mit mir kommen wollt, so will ich euch in eine Lage setzen, die weit über euerm Stand ist; und ihr sollt Ursache finden, den Tag, da ihr mir begegnet seid, auf ewig glücklich zu preisen.»

Hier hielt der kleine bucklichte Greis mit Reden ein und wartete mit sichtbarer Unruhe auf die Antwort, die man ihm geben würde. Er hatte freilich alle Ursache, unruhig zu sein. Sein Alter und seine Figur waren nicht so beschaffen, daß sie diesen jungen Personen Lust machen konnten, seinem Vorschlage Gehör zu geben. Indessen hatte doch Fatime schon Verstand genug, um einzusehen, daß es, in Umständen wie die ihrige, eben nicht die schlimmste Partie wäre. Der Alte bemerkte ihre Unschlüssigkeit mit Betrübnis. «Mein schönes Kind», sagte er ihr, «wenn ihr die Gefahr, in einer so abgelegenen Gegend so allein zu wohnen, gehörig überlegt hättet, so würdet ihr euch nicht lange bedenken, mein Anerbieten anzunehmen. So ohne allen Schutz, wie ihr seid, glaubt ihr den Fallstricken entgehen zu können, welche man eurer Unschuld legen wird? Wenn ihr auch Tugend genug habt, um zu lasterhaften Anträgen eure Einwilligung zu verweigern, so wird es euch doch an Macht fehlen, gewaltsame Anfälle abzuhalten. Bei mir habt ihr nichts dergleichen zu fürchten. Mein Alter sichert euch vor Anfechtungen von mir selbst, und meine Erfahrenheit soll euch gegen die von andern Leuten sicherstellen. Gebt eine mühselige Arbeit auf, die euch kaum den notdürftigsten Unterhalt verschaffen kann: ihr sollt bei mir alles finden, was ihr zur Notdurft und zur Annehmlichkeit des Lebens verlangen könnt; und ich will euch Dinge sagen, die euch begreiflich machen werden, daß der Vorschlag, den ich euch tue, euer und mein Glück sein wird. Kommt, liebe Mädchen, ihr könnt nichts Bessers tun. Wenn eure Mutter noch lebte, würde sie gewiß meinen Gründen nachgeben und euch unter meinem Schutze sichrer glauben als in der Hütte, die ihr bewohnet.» Kurz, der kleine alte Mann sprach so gut, daß Fatime anfing, sich überreden zu lassen. «Guter Herr», sagte sie, «ich glaube Euch zum Teil zu verstehen und bin ganz geneigt, von Eurer Güte für mich und meine Schwester Gebrauch zu machen; aber da Euer Antrag, nach dem Geständnis Eurer besondern Neigung zu ihr, hauptsächlich sie angeht, so muß ich doch vorher ihre Gesinnung wissen, eh' ich Euch eine genaue Antwort geben kann. Rede also, Kadidsche: fühlst du dich geneigt, dem Antrag dieses Herrn Gehör zu geben und ihn zum Gemahl anzunehmen? Denn ich halte ihn für zu rechtschaffen, als daß er ein paar unschuldige Waisen, die ihm ihre Ehre anvertrauen, könnte hintergehen wollen.» - «Nein, Schwester», antwortete Kadidsche errötend, «er ist gar zu alt und gar zu häßlich.»

Die kindische Offenherzigkeit dieses jungen Mädchens setzte Fatimen in einige Verlegenheit. «Liebe Schwester», sprach sie, «man sieht wohl, daß du noch in einem Alter bist, wo man wenig Überlegungen macht, weil du die Ehre, die dir dieser Herr erweisen will, so schlecht erkennst. Anstatt ihm solche Unhöflichkeiten zu sagen, solltest du es für ein Glück ansehen, daß du ihm gefallen hast.» - «Ja, wahrhaftig», erwiderte Kadidsche weinend, «das ist auch eine Sache, worüber eins sich viel zu freuen hat! Ich weiß nicht, ob es eine Ehre für mich ist; aber das weiß ich recht gut, daß es ein schlechtes Vergnügen ist, einen Mann, wie dieser da, immer vor Augen zu haben.» - «Du mußt nicht so reden», sagte ihre Schwester. «ich kann nicht anders reden», antwortete die Jüngere; «wenn es ein so großes Glück ist, ihm zu gefallen, warum macht er sich nicht an dich, da du doch schöner und verständiger bist als ich? Ich möchte wohl sehen, wenn er dich liebte, ob du ihn wiederlieben würdest.»

Der kleine bucklichte Greis spielte keine angenehme Rolle während diesem Wortwechsel. «Wie unglücklich doch mein Schicksal ist», rief er mit Betrübnis aus; «ich habe die berühmtesten Schönheiten aller Morgenländer gesehen und lebe nun bis auf das Alter, worin ihr mich seht, ohne daß ich jemals mein Herz hätte überraschen lassen; und nun muß ich in diesem Augenblick in die stärkste Leidenschaft für eine Person fallen, die mit einem unüberwindlichen Widerwillen gegen mich eingenommen ist! Ich sehe, welch ein schreckliches Los ich mir selbst zubereite, und gleichwohl nötigt mich mein Verhängnis, einer Neigung zu folgen, die mich wider Willen fortzieht.» Die Augen stunden dem Alten voll Wassers, indem er dies sagte, und er schien so bewegt, daß Fatime, die von Natur sehr weichherzig war, Mitleiden mit ihm haben mußte. «Lieber Herr», sagte sie, «höret auf, Euch so zu betrüben! Laßt Euch die ersten Reden eines Kindes nicht beunruhigen, das noch nicht weiß, was ihm gut ist; ihr Verstand wird mit den Jahren reifer werden. Ihr habt freilich die Annehmlichkeiten der Jugend nicht mehr, aber ich halte Euch für einen wackern Herrn. Eure Liebe und Eure Gefälligkeiten werden sie gewiß noch gewinnen. Wir wollen inzwischen mit Euch gehen, und ich verspreche Euch, daß ich mein Bestes bei ihr tun will.» - «Gut, Schwester», fiel ihr die Kleine verdrießlich ins Wort; «aber wenn er mich quält und haben will, daß ich ihn liebe, so bin ich euch nicht gut dafür, daß ich nicht davonlaufe.» - «Nein, schöne Kadidsche», sagte der Greis, «du sollst nicht gequält werden; ich schwör' es bei allem, was heilig in der Welt ist! Ich will dir nicht den geringsten Zwang auflegen. Du sollst unbeschränkte Gebieterin über alles, was ich habe, sein. Hättest du gern ein reiches Kleid oder irgendeinen andern Putz, so sollst du's auf der Stelle haben; ich werde mir eine Pflicht daraus machen, allen deinen Wünschen entgegenzukommen. Noch mehr, wenn ich merken werde, daß dir mein Anblick lästig sein wird, so will ich dich damit verschonen, wie schwer es mich immer ankommen mag.»

Fatime nahm nun wieder das Wort und sagte zum Alten: «Weil denn meine Schwester nicht abgeneigt scheint, auf die versprochnen Bedingungen mit Euch zu gehen, so erlaubet nur, daß wir vorher diese Wäsche zu den Personen tragen, denen sie zugehört; wir wollen bald wieder bei Euch sein.» - «Ach! ich bitte Euch inständig», rief der Alte, «wenn Ihr mir nicht das Leben nehmen wollt, so nehmt mir Eure holdselige Schwester nicht! Es sei nun Vorsichtigkeit oder Ahndung, genug, ich fürchte, euch nie wiederzusehen, wenn ihr mich beide verlaßt, und darüber würde ich mich zu Tode kränken. Ihr wollt bald wiederkommen? Nun, so laßt sie bei mir, bis Ihr wiederkommt! Was habt Ihr zu besorgen? Könntet Ihr ein Mißtrauen...» «Nein, nein», fiel Kadidsche hastig ein, «ich gehe mit meiner Schwester, ich bleibe nicht allein bei ihm.» - «Und warum denn nicht?» sagte Fatime, die dem Alten eine Probe ihrer versprochenen guten Dienste geben wollte, «warum wolltest du nicht bei ihm bleiben? Ich werde in einem Augenblick wieder hier sein. Ich bitte dich, Schwester, bleibe und warte hier auf mich. Du bist dem Herrn diesen Beweis deines Zutrauens schuldig, um ihn über die unangenehmen Dinge zu trösten, die du ihm gesagt hast.»

Kadidsche, so hart es sie ankam, allein bei ihm zu bleiben, wagte es doch nicht, sich dem Willen ihrer ältern Schwester zu widersetzen, die sie als eine zweite Mutter betrachtete. Fatime nahm also beide Körbe und machte sich auf den Weg, nachdem sie dem Alten wohl empfohlen hatte, mit dem Eigensinn der kleinen Person, die sie bei ihm zurückließ, behutsam zu verfahren. Allein, anstatt bald wiederzukommen, wie sie versprochen hatte, kam sie den ganzen Tag nicht wieder. Kadidschens Unruhe war mit nichts zu vergleichen; und wie sie endlich gar die Nacht einbrechen sah, verlor sie alle Geduld und überschüttete den armen Alten mit Vorwürfen. «Ihr allein bringt uns Unglück», sagte sie; «ohne Eure leidige Bekanntschaft wär' ich itzt bei meiner Schwester. Was für ein Unfall ihr auch zugestoßen sein mag, so wollt' ich ihn lieber mit ihr teilen als hier bei Euch sein.»

Diese Reden machten dem Alten große Unlust. Er wußte nicht, was er antworten sollte, so sehr scheute er sich, die junge Person noch mehr aufzubringen, die, wie er sich wohl bewußt war, nur zu viel Ursache hatte, wider ihn eingenommen zu sein. Indessen tat er sein äußerstes, sie zu beruhigen; aber alles, was er vornahm, vermehrte nur ihre Unruhe und ihren gegen ihn gefaßten Widerwillen. Sie sagte ihm, er sollte schweigen, und sie wollte nach Masulipatnam gehen, trotz der Finsternis der Nacht und einem großen Regen, der inzwischen eingefallen war. Im Grunde war es noch mehr, um nicht die Nacht bei dem Alten zubringen zu müssen, als aus Verlangen, von ihrer Schwester Nachricht einzuziehen, wie groß dieses auch immer sein mochte. Indessen brachte er sie doch endlich davon ab, indem er ihr vorstellte: Aller Wahrscheinlichkeit nach werde Fatime, da sie das Gewitter im Anzuge gesehen, bei einer ihrer Bekanntschaften zurückgeblieben sein und morgen früh unfehlbar wiederkommen. Kurz, er vermochte endlich, ungeachtet ihres Widerwillens und Eigensinns, so viel über sie, daß sie ihm nach ihrer Hütte folgte, wo sie, über einer leichten Mahlzeit von trocknen Datteln und Brunnenwasser, von nichts als den unglücklichen Zufällen dieses Tages reden konnten. Das junge Mädchen tat die ganze Nacht nichts als weinen und jammern; man kann sich vorstellen, wie ihrem alten Liebhaber dabei zumute war.

Sobald der Tag anbrach, verließen sie die Hütte und gingen zusammen nach Masulipatnam. Sie erkundigten sich allerorten nach Fatimen, wo Kadidsche wußte, daß sie Wäsche hingetragen hatte; aber niemand konnte ihr sagen, was aus ihr geworden sei. Sie begnügten sich nicht hieran. Sie suchten sie von Gasse zu Gasse und fragten in allen Häusern nach ihr; aber ihr Nachforschen war vergeblich. Diese Dunkelheit über Fatimens Schicksal setzte sie in den äußersten Kummer. Sie konnten nicht zweifeln, daß dem armen Mädchen etwas Außerordentliches begegnet sein müsse. Ihre junge Schwester blieb ganz untröstbar und sagte dem Alten die härtesten Dinge von der Welt, so oft er es versuchen wollte, sie zu beruhigen.

Sie brachten die sieben oder acht folgenden Tage damit zu, die ganze benachbarte Gegend zu durchlaufen. Es war kein Schloß, kein Haus und keine Hütte auf vier Meilen in die Runde, wo sie nicht nachgesucht hätten, aber immer mit gleich schlechtem Erfolge. Endlich, da sie sich nicht anders zu helfen wußten, kehrten sie ganz niedergeschlagen in die Hütte zurück. Wie nun der kleine Greis sah, daß Kadidsche sich ohne Maß über den Verlust ihrer Schwester grämte, beschwor er sie mit tränenden Augen, einen Ort, wo alles ihren Schmerz nährte und wo er sie überdies nicht hätte schützen können, zu verlassen und ihm in die Stadt, wo er sich gewöhnlich aufhielt, zu folgen. Er legte ihr alle nur möglichen Beweggründe vor; und da sie ihm keine Antwort gab, fing er wieder von vornen an und drang so lange und so inständig in sie, bis sie endlich mehr aus Verzweiflung als gutwillig sich erklärte, er möchte sie hinführen, wohin es ihm beliebte. Sie machten sich also auf den Weg; aber ehe sie sich entfernten, schrieb der Alte mit einer Kohle über die Tür, wohin er Kadidschen führe, damit Fatime, wenn sie etwa wiederkäme, Nachricht von ihnen hätte. Hierauf schlossen sie die Tür zu und steckten den Schlüssel in einen benachbarten hohlen Baum, wie sie es sonst immer zu tun gewohnt waren.

Die Stadt, wohin der kleine bucklichte Greis Kadidschen zu führen gedachte, war nur drei Tagreisen von Masulipatnam entfernt; aber ein Mann von hundert Jahren und ein Mädchen von zwölf können keine lange Tagreisen machen. Sie brachten sieben Tage damit zu und waren gleichwohl beide von Müdigkeit und Hunger ganz erschöpft, als sie anlangten. Das erste, was Dahy tat (so nannte sich der Alte), war, daß er in die Stadt schickte und in größter Eile das Beste, was man auftreiben konnte, holen ließ, um seine junge Freundin und sich selbst zu erfrischen. Nachdem der Hunger gestillt war, führte er sie in ein ziemlich feines Gemach, das er für sie bestimmt hatte, und er selbst ging, in einem andern Zimmer auszuruhen. Des folgenden Tages ging er in die Kaufläden und kaufte eine Menge schöne Zeuge zu Kleidern für Kadidsche und zu ihrer Aufwartung eine alte Sklavin, die man ihm als eine große Meisterin in der Kunst, Damen zu coiffieren, anpries. Kadidsche konnte sich über die Veränderung ihrer Umstände nicht genug verwundern. Sie merkte zwar wohl, was für Gesinnungen der Alte für sie hatte; aber sie begriff nicht, wie sie zu einer so unumschränkten Herrschaft über ihn gekommen sei. Zuweilen, wenn sie dachte, daß sie ihm gleichwohl alle die Vorteile, in deren Besitz sie war, schuldig sei, erhob sich eine Bewegung von Dankbarkeit in ihrem Herzen; indessen konnte doch, was sie auch sich selbst hierüber sagte, die Zärtlichkeit eines so abgelebten Liebhabers ihren Abscheu vor seiner Figur nicht vermindern. Was ihr indessen noch am besten an ihm gefiel, war die große Ehrerbietung, womit er ihr begegnete; und daß er, seines Versprechens eingedenk, sie so viel, als ihm nur immer möglich war, mit seiner unangenehmen Gegenwart verschonte.

Verschiedene Wochen waren schon verflossen, ehe Kadidsche nur einigermaßen sich wieder zu fassen schien. Das Andenken an ihre Schwester verbitterte alles, was ihr ihre gegenwärtige Lage hätte angenehm machen können, und immer fielen ihr die letzten Worte ihrer sterbenden Mutter ein, die ihr so ernstlich anbefohlen hatte, sich nie von ihrer Schwester zu trennen. Indessen wurde doch das Gefühl ihres Schmerzes nach und nach ein wenig stumpfer, und wahrscheinlich trugen die angenehmen Zerstreuungen, die ihr Dahy zu verschaffen suchte, nicht weniger dazu bei als die Zeit und die Lebhaftigkeit der Jugend.

Eines Tages, da sie sich durch Spazierengehen ermüdet hatte, legte sie sich früher als gewöhnlich nieder. Sie fiel in einen tiefen Schlaf, und gegen Morgen, wenn die Bilder, die sich der Seele darstellen, am reinsten und lebendigsten sind, hatte sie einen Traum, der einen sehr starken Eindruck auf sie machte. Ihr träumte, es erscheine ihr ein Jüngling von außerordentlicher Schönheit, dessen Miene und lockichtes blondes Haar sie bezauberte. Indem sie ihn mit großer Aufmerksamkeit betrachtete, sprach er zu ihr: «Wo denkst du hin, Kadidsche? Hast du deine Fatime so bald vergessen können? Glaubst du, die schönen Kleider, die dir Dahy verehrt hat, überheben dich der Pflicht, sie aufzusuchen? Nein, gewiß nicht; und ich sage dir, daß du nicht anders glücklich werden kannst, als wenn du gehest und sie in der Insel Sumatra suchest. Betrachte mich wohl, denn du siehest denjenigen, den dir das Schicksal zum Gemahl bestimmt hat.» Mit diesem Worte verschwand der schöne Jüngling, und Kadidsche erwachte; aber sie konnte sich's kaum ausreden, daß es eine Erscheinung und kein Traum gewesen sei, so tief hatte sich das reizende Bild in ihre Seele eingedrückt. Sie glaubte den schönen Jüngling mit seinem krauslockichten blonden Haare noch vor sich zu sehen, und seine Stimme tönte noch wie Musik in ihren Ohren nach. Sie konnte zwar nicht glauben, daß es in der ganzen Welt einen Sterblichen von solcher Schönheit geben könnte; aber demungeachtet war ihr Glaube an ihren Traum so stark, daß sie ihn sogleich dem alten Dahy erzählte und ihm sogar zumutete, noch an selbigem Tage Anstalt zur Reise nach Sumatra zu machen. Auch er, es sei nun aus wirklicher Überzeugung oder aus Gefälligkeit gegen die kleine Schwärmerin, schien ihr Traumgesicht für etwas mehr als ein bloßes Spiel der Phantasie zu halten, und wiewohl er alle Ursache hatte, sich vor dem schönen Nebenbuhler, den es ihm gegeben, zu fürchten: so erklärte er sich doch, daß er keinen andern Wunsch habe, als die ihrigen zu befriedigen, und daß er bereit sei, mit ihr nach der Insel Sumatra abzugehen. Kadidsche betrieb die Abreise mit solcher Ungeduld, daß sie ihm kaum Zeit ließ, die nötigen Anstalten zu machen. Jedoch wollten sie, ehe sie zu Schiffe gingen, vorher eine Reise nach der Hütte machen, um zu sehen, ob sie keine Spur finden würden, daß Fatime indessen zurückgekommen sei. Aber sie fanden alles, wie sie es gelassen hatten, und da sie dieser Umstand in der Entschließung, dem Befehle des Traumes zu gehorchen, bestärkte, so gingen sie nach Masulipatnam zurück, wo Dahy auf einem Schiffe von Achem, welches im Begriffe stund, mit einer reichen Ladung unter Segel zu gehen, eine kleine Kammer mietete und sie mit allen Bequemlichkeiten versah, die das Beschwerliche einer langen Seereise erleichtern können.

Die kleine Kadidsche machte sehr große Augen, da sie zum ersten Mal in ihrem Leben nichts als Himmel und Wasser sah; aber das Verlangen nach ihrer Schwester unterstützte ihren Mut; eine gewisse aus Neugier und Liebe zusammengesetzte Empfindung für den schönen Jüngling, der ihr im Traum erschienen war, trug wohl auch das ihrige dazu bei. Sie wollte sich zwar nicht gestehen, daß sie Hoffnungen in ihrem kleinen Herzen brütete, die ihr zuweilen selbst lächerlich vorkamen; aber sie war doch neugierig, wie sich das alles enden würde, und sie fragte den Alten alle Augenblicke, wie lange sie noch bis nach Sumatra zu fahren hätten. Um ihre Ungeduld soviel möglich zu täuschen und ihre Aufmerksamkeit auf andere Dinge zu ziehen, suchte er alles hervor, was ihm seine Kenntnisse und die großen Reisen, die er gemacht hatte, zu ihrer Unterhaltung an die Hand gaben; und da die Gewohnheit ihr das Unangehme seiner Gestalt und seines hohen Alters ziemlich erträglich gemacht hatte, so hörte sie ihm gerne zu und fand immer mehr Belieben an seinem Umgang, je mehr ihr eigener Verstand sich dardurch bildete und je heller es darin wurde. Die neue Verbindlichkeit, die sie ihm dafür schuldig wurde, nahm mit dem neuen Werte zu, den sie in ihren eigenen Augen erhielt; und die Achtung und Bewunderung, die ihr die Vorzüge seines Geistes einflößten, stiegen in eben dem Verhältnisse wie ihre Fähigkeit, sie gewahr zu werden. Rechnet man nun noch das Vertrauen hinzu, das ihr sein immer gütiges und von dem feinsten Gefühle geleitetes Betragen gegen sie einflößen mußte, und ein gewisses Wohlwollen, das man sich nicht entbrechen kann, zu einer jeden Person zu tragen, von welcher man außerordentlich geliebt wird, wie abgeneigt wir uns auch immer fühlen mögen, ihre Liebe zu erwidern: so wird man begreiflich finden, wie aus diesem allem unvermerkt eine Art von Freundschaft wurde, die sich bei Gelegenheit auf eine so zärtliche Art ausdrückte, daß der gute Alte beinahe zu entschuldigen war, wenn er sich zuweilen mit der ausschweifenden Hoffnung täuschte, es könnte doch wohl am Ende noch Liebe daraus werden - eine Hoffnung, die er in seiner besonderen Lage, trotz aller ihrer Unwahrscheinlichkeit, sich um so mehr verzeihen konnte, da sie das einzige war, was ihm sein Dasein erträglich machte.

In diesem süßen Wahne überredete er sich, daß es nun Zeit sei, sie nicht länger unwissend zu lassen, wer er sei, was für ein seltsames Schicksal ihn zu ihrem Liebhaber gemacht habe und wie sehr er ihr Mitleiden verdiene. «Wäre es denn das erste Mal», sagte er zu sich selbst, «daß Mitleiden in dem Herzen eines Mädchens zu Liebe geworden wäre?» Der gute Dahy vergaß, wie man sieht, in diesem Augenblicke seine kleine bucklichte Figur, seine Triefaugen, seinen Glatzkopf und seine hundert Jahre!

«Liebe Kadidsche», sprach er eines Tages zu ihr, da sie an einem schönen Abend bei dem heitersten Wetter ihre Augen an der untergehenden Sonne, die zur See ein gar herrliches Schauspiel macht, geweidet und sie sich hierauf in ihr Kämmerchen zurückgezogen hatten, «so abgelebt und baufällig ich dir auch in dieser Gestalt vorkommen muß, so wirst du dich doch nicht wenig wundern, wenn ich dir sage, daß ich unsterblich bin.» - «Unsterblich?» sagte Kadidsche, indem sie ihn sehr aufmerksam betrachtete, mit einem Ton und mit einer Miene, worin Erstaunen und Unglauben zu ziemlich gleichen Teilen miteinander vermischt waren; «wenn Ihr es nicht wäret, der es mir sagte», fuhr sie fort und hielt auf einmal inne... «Nichts ist gewisser», versetzte Dahy und schwieg abermals um zu bemerken, was in der Seele des jungen Mädchens bei einem so unerwarteten Geständnis vorging. «So beklage ich Euch von Herzen», erwiderte sie traurig; «es würde grausam sein, Euch in solchen Umständen zu einem Vorzug Glück zu wünschen, den Ihr selbst unmöglich als ein Gut betrachten könnet.» - «Auch würde er», fuhr Dahy fort, «die unerträglichste Last für mich sein, wenn ich das würklich wäre, was ich scheine; aber du wirst noch mehr erstaunen, schönste Kadidsche, wenn ich dir sage, daß du mich unter einer fremden Gestalt siehest. Meine eigene ist, ohne Ruhm zu melden, geschickter, deinem Geschlechte Liebe als Abscheu einzuflößen, und ist um so gewisser, immer zu gefallen, weil sie den Vorteil einer ewigen Jugend hat. Lilien und Rosen blühen auf meinen Wangen, und - mit einem Worte: alles, was man schön und liebreizend nennt, ist über mein Gesicht und über meine ganze Person ausgegossen.» - «Lieber Himmel», rief das Mädchen (der in diesem Nu der wunderschöne Jüngling aus ihrem Traume wieder vor die Stirne kam), «wie könnt Ihr nur einen Augenblick zaudern, eine so vorteilhafte Gestalt wieder anzunehmen?» - «Leider steht dies nicht in meiner Macht», antwortete Dahy mit einem tiefen Seufzer; «darin besteht eben mein Unglück; aber ich habe es nie so schmerzlich gefühlt, liebe Kadidsche, als seitdem es mich dir in einer so widrigen Verkleidung vor die Augen gebracht hat.» - «Und es wird nie aufhören, dieses Unglück?» sagte sie. «Das liegt bloß an dir», erwiderte er. «An mir?» versetzte Kadidsche mit neuem Erstaunen; «wie soll ich das verstehen? Was kann ich tun, um ein so unbegreifliches Wunder zu würken?» - «Nichts, als mich lieben», erwiderte Dahy, indem er sie mit einem Ausdruck von Zärtlichkeit ansah, der in einem Gesichte wie das seinige zur abscheulichsten Grimasse wurde und also gerade die umgekehrte Würkung tat. «Wenn das ist», sagte sie, «so besorge ich sehr, Ihr werdet ewig bleiben, wie Ihr seid. Aber, mein guter Herr, wie wollt Ihr, daß ich so unbegreiflichen Dingen Glauben beimesse?» «Wenn du mich nur anhören willst, meine Königin, so wirst du nicht länger an der Wahrheit meiner Reden zweifeln.

Ich habe dir schon genug gesagt, um zu merken, daß ich zu der Klasse von Wesen gehöre, die ihr Genien nennt. Ich habe einen Bruder, der von Natur ebenso schön und ebenso mächtig ist als ich. Wir sind Zwillinge; sein Name ist Adis, der meinige Dahy. Vermöge unseres angebornen Standes sind uns alle Dinge diesseits des Mondes unterworfen; aber dies konnte nicht hindern, daß wir selbst nicht der Willkür eines gewissen Brahminen von Wisapur untertan wären, der sich durch seine Wissenschaft eine unumschränkte Herrschaft über unsere Gattung erworben hat. Zu unserm Unglücke warf er eine besondere Zuneigung auf mich und meinen Bruder; und zum Beweis seines Vertrauens bestellte er uns zu Hütern eines Frauenzimmers, die er heftig liebte, deren Treue aber ihm etwas unsicher schien. Vielleicht hätte er besser getan, ihr ohne Wächter zu trauen oder ihr wenigstens keine von unsrer Figur zuzugeben. Indessen ging eine Zeitlang alles sehr gut: wir versahen unsern Dienst auf das pünktlichste, die Dame hatte immer einen von uns beiden zur Seite, und wir bemerkten nicht das geringste, weder in ihren Neigungen noch in ihrem Betragen, das uns ihre Treue gegen den Brahminen verdächtig machen konnte. Aber unvermerkt fiel sie in eine Art von Schwermut, die sich bald in ein sanft trauriges Schmachten verwandelte. Sie seufzte mitten unter den Lustbarkeiten, die der Brahmine ihr zulieb anstellte; und zuweilen sah sie uns, mich und meinen Bruder, an, als ob sie uns um Mitleiden mit einem geheimen Gram, der sie verzehrte, bitten wollte. Wir waren beide so weit entfernt, Arges zu denken, daß wir einander um die Ursache dieser Veränderung, unter welcher ihre Schönheit bereits merklich zu leiden anfing, befragten und mit allem unseren Genienverstande uns eher alles andere einbildeten, als daß wir selbst die unschuldige Ursache ihrer verborgenen Krankheit sein könnten. Und gleichwohl war es nicht anders: die arme Dame, die uns tagtäglich vor Augen haben mußte, hatte sich endlich, vielleicht bloß aus Langerweile, nicht erwehren können, auf unsre Gestalt aufmerksam zu werden, und diese Aufmerksamkeit wurde ihr Unglück. Sie mochte sich selbst darüber sagen, was sie wollte, sie konnte sich (wie sie uns in der Folge selbst gestand) die schönen blonden Haare, die uns in großen natürlichkrausen Locken auf die Schultern fielen und am Rücken hinunterwallten, gar nicht aus dem Sinne bringen.»

Die junge Kadidsche, die sich bei diesem Zug ihres Traumes erinnerte, betrachtete das alte Männchen mit großen Augen und fühlte, daß seine Erzählung sie zu interessieren anfing.

«Kurz», fuhr der Alte fort, «die Dame verliebte sich in uns, ohne daß wir etwas davon merkten, und die Zeit, von welcher man immer das Beste hofft, tat so wenig zu Linderung ihres Übels, daß es vielmehr alle Tage schlimmer mit ihr wurde. Es wäre unbegreiflich, wie Kansu (so nannte sich der Brahmine) mit aller seiner großen Wissenschaft nicht klarer in den Angelegenheiten seiner Geliebten sah, wenn man nicht wüßte, daß gerade die größten Geister die Leute sind, die nie sehen, was vor ihren Füßen liegt. Genug, der Brahmine merkte so wenig davon als wir und machte sich auf eine Reise nach den Grenzen der großen Tartarei, wo er in einer Versammlung von weisen Meistern präsidieren mußte, ohne sich wegen seiner geliebten Farsana die geringste Unruhe zu machen. Wir beschlossen, Adis und ich, uns seine Abwesenheit zunutze zu machen, um, was es auch kosten möchte, hinter ihr Geheimnis zu kommen. Der kürzeste Weg schien uns, wenn wir sie dahin bringen könnten, uns ihr Herz selber aufzuschließen. Wir redeten sie also deswegen an; wir baten sie aufs inständigste, uns nicht länger ein Geheimnis ans ihrem Übel zu machen, und erboten uns in den stärksten Ausdrücken zu allem, was nur immer in unserm Vermögen sein könnte, um die Ruhe ihres Gemütes wiederherzustellen.

Die Anrede des Adis, der in unser beider Namen das Wort geführt hatte, schien sie in große Verlegenheit zu setzen; allein, da sie dadurch einen Anlaß, sich uns zu entdecken, erhielt, den sie schon lange gesucht hatte, so faßte sie sich auf der Stelle und beschloß, die gute Gelegenheit nicht ungenutzt aus den Händen zu lassen. ‹Ihr seid gar zu großmütig, liebenswürdiger Adis›, antwortete sie ihm, ‹Euch um eine Unglückliche zu beunruhigen, die sich dieser Ehre unwürdig fühlt. Lasset mir, ich bitte Euch, den armseligen Trost, ein Übel, dem nicht zu helfen ist, im verborgenen zu beweinen.› ‹Was sagt Ihr, schöne Dame›, rief ich ganz erstaunt; ‹Euerm Übel sollte nicht zu helfen sein? So begreife ich wahrlich nicht, was für ein Übel das sein kann, denn ich kenne kein unheilbares.› - ‹Das meinige›, erwiderte sie, ‹ist von einer so besondern Art, daß, wofern es ja durch etwas in der Welt gelindert werden könnte, Euer Mitleiden das einzige wäre, wovon ich diese Würkung hoffen dürfte.› - ‹Oh, wenn es nur an unserm Mitleiden liegt›, rief ich ein wenig zu voreilig, ‹auf das könnt Ihr rechnen! Aber wozu könnte Euch unser bloßes Mitleiden helfen? Wir werden uns nicht eher zufriedengeben, bis dieser tiefen Schwermut geholfen ist, die Euch allmählich aufreibt. Ist irgendein verborgenes körperliches Übel die Ursache, so wißt Ihr, daß uns die geheimsten Heilkräfte der Natur zu Gebote stehen; oder sollte das Betragen des Brahminen nicht so beschaffen sein, wie es Euer Wert und Eure Liebe um ihn verdienen: so ist Euch ebenfalls nicht unbekannt, wieviel wir über ihn vermögen. Redet also, liebenswürdige Gebieterin; setzet uns in den Stand, Euch unsern Diensteifer tätig zu beweisen und uns dadurch zugleich um den Brahminen, unsern Gebieter, und um eine Person, die ihm so lieb ist, verdient zu machen.›

Farsana erseufzte bei diesen Worten. ‹Meine Gesundheit ist nicht angegriffen›, erwiderte sie, ‹und Kansu hat mir keine Ursache gegeben, mich über ihn zu beklagen. Gleichwohl leide ich auf die grausamste Weise, und ich weiß nicht, mein lieber Dahy, ob Ihr mit allem dem Diensteifer, dessen Ihr mich versichert, so geneigt wäret, meinem Leiden abzuhelfen, wenn Ihr es kenntet.› - ‹Ah, meine Gebieterin›, rief mein Bruder, ‹Ihr tut uns das größte Unrecht. Stellt uns auf die Probe, so werdet Ihr bald vorteilhafter von uns denken!› - ‹Und wenn ich Euch nun sagte›, antwortete sie errötend, ‹daß ihr beide ganz allein Ursache des Übels seid, das ihr heilen wollt.› - ‹Wer? Wir?› riefen wir beide zu gleicher Zeit voll Erstaunen, aber durch die seltsamste Verblendung noch immer weit entfernt, zu verstehen. ‹Wie sollte das möglich sein›, setzte ich hinzu, ‹daß wir Urheber einer Würkung sein könnten, die so gänzlich unsrer Absicht entgegen wäre?› - ‹Eine solche Frage, nach dem, was ich euch schon gesagt habe, sollte mir zwar den Mund auf ewig schließen›, versetzte die Dame; ‹aber ich habe mich schon zu weit herausgelassen, um mein Geständnis nicht zu vollenden. Wisset also, weil ihr es doch wissen wollt, allzu liebenswürdige Brüder, daß ich nicht stark genug gewesen bin, gegen den Eindruck eurer Reizungen auszuhalten. Ich habe vergebens allen meinen Kräften aufgeboten, ihren täglich zunehmenden Würkungen Einhalt zu tun, und dieser Widerstand hat mich endlich dahin gebracht, wo ihr mich sehet.› Sie begleitete diese Worte mit einem Strom von Tränen, der das Feuer ihrer Augen nur desto stärker anzufachen schien. Unsere Bestürzung bei einem so unerwarteten Geständnis ist unbeschreiblich; aber wir erholten uns bald genug, um sie zu überzeugen, daß sie sich keine Hoffnung machen dürfe, uns zu Teilnehmung an ihrem Vergehen gegen den Brahminen, unsern Gebieter, verleiten zu können. Wir beeiferten uns in die Wette, sie zur gehörigen Empfindung ihres Unrechts gegen Kansu und zur Überlegung der schrecklichen Folgen zu bringen, die ihre Leidenschaft für sie und uns haben würde. Aber es war schon zu weit mit ihr gekommen. Sie hörte uns zwar mit Gelassenheit an, weil das Geständnis, so sie uns getan, ihr Herz von einer drückenden Last erleichtert hatte, aber unsre Vorstellungen machten nicht den geringsten Eindruck auf ihr Gemüt. Sie schmeichelte sich eine Zeitlang mit der Hoffnung, durch ihre Beharrlichkeit und durch immer wiederholte Angriffe endlich den Sieg über uns zu erhalten; aber da sie sich von einem Tage zum andern in ihrer Erwartung betrogen sah, so verfiel sie wieder in ihren vorigen Zustand. Unglücklicherweise verpflichtete uns der ausdrückliche Befehl des Brahminen, sie nicht aus den Augen zu lassen. Ihre Begierden erhielten dadurch immer neue Nahrung, und wir befanden uns täglich und stündlich ihren Klagen und Vorwürfen ausgesetzt. Das Seltsamste bei dem allem war, daß ihre Leidenschaft nicht auf einen von uns, sondern mit gleicher Heftigkeit auf beide gerichtet war. Auch hierüber, wie anstößig es uns immer sein mußte, half keine Vorstellung bei ihr. Sie warf die Schuld auf ihr Verhängnis und auf die Unmöglichkeit, einen von uns dem andern vorzuziehen. Sie könnte und würde nie ruhig werden, sagte sie, wofern wir nicht beide ihre grenzenlose Liebe zu uns teilten. Bei der innigen Freundschaft, die uns gleichsam nur zu einer Person machte, könnte ja keine Eifersucht zwischen uns stattfinden. Kurz, es hälfe hier kein Widerstand, und wenn wir grausam genug sein könnten, sie noch länger ohne Hülfe schmachten zu lassen, so bliebe ihr kein anderer Trost, als daß wir bald genug das Ende ihres elenden Lebens sehen würden.

Es war keine leichte Sache, liebe Kadidsche, gegen die vereinigte Würkung der Reizungen der schönen Farsana, des Mitleidens, das uns der Anblick ihres Leidens einflößte, und der unaufhörlichen Stürme, so sie täglich auf unsere Standhaftigkeit tat, auszuhalten; und gleichwohl blieb ich immer unbeweglich, wiewohl ich die Verblendung und den Starrsinn der armen Unglücklichen von ganzem Herzen beklagte. Aber wer könnte sich vermessen, daß er, in einer solchen Lage, unter solchen Versuchungen, immer Herr über seine Sinnen bleiben werde?

Eines Abends, da ich allein bei ihr war und sie noch mehr als gewöhnlich niedergeschlagen sah, fragte ich, was für eine neue Ursache sie wohl haben könnte, sich so zu grämen. ‹Grausamer Dahy›, antwortete sie mir, ‹kannst du eine solche Frage an mich tun? Brauche ich eine andere Ursache, um aufs äußerste gebracht zu sein, als die unerbittliche Strenge, die du gegen mich beweisest? Oh, warum, da ihr Brüder einander sonst in allem so ähnlich seid, kannst du hierin allein deinem Bruder so unähnlich sein?› - ‹Meinem Bruder unähnlich?› fragte ich erstaunt; ‹wie soll ich das verstehen?› - ‹Er hat alles für mich getan, was ich von ihm erwartete›, versetzte sie mit schmachtender Stimme. Ich glaubte falsch gehört zu haben. ‹Wie?› rief ich, ‹mein Bruder Adis? Er hätte Eure Wünsche befriedigst?› - ‹Ja›, versetzte sie ganz kalt; ‹und was ist denn daran, das dich in solches Erstaunen setzen kann? Meinst du, jedermann müsse so hartherzig sein wie du? Er hat sich durch meine Tränen erweichen lassen; er hat sein Herz der Liebe geöffnet, er ist glücklich und bedauert itzt nur, daß er so viele Zeit verloren hat, wo er es hätte sein können.› - ‹Und Ihr seid noch nicht zufrieden?› rief ich mit Heftigkeit; ‹Ihr habt nicht an einem Schlachtopfer genug und hofft auch mich zu verführen, wie Ihr den allzu nachgiebigen Adis verführt habt?› - ‹Ja, mein liebster Dahy›, antwortete sie, indem sie einen Blick auf mich schoß, worin alle Pfeile der feurigsten Leidenschaft zusammengedrängt waren; ‹ja, dein Herz allein mangelt mir noch, um glücklich zu sein. Weh mir! Haben alle Leiden, die ich schon so lange um deinetwillen erdulde, mir nicht endlich einiges Mitleiden von dir verdienen können?› - ‹O Farsana›, erwiderte ich, ‹was Ihr mir sagt, überzeugt mich, daß Ihr meinen Bruder nicht liebet; unmöglich, wenn Ihr ihn liebtet, könntet Ihr auch noch für einen andern seufzen?› - ‹Ich bete ihn an›, versetzte sie. ‹Hundertmal wollte ich mein Leben hingeben, um ihm meine Liebe zu beweisen; aber eben diese grenzenlose Liebe, die ich für ihn fühle, hat die ganze Stärke derjenigen, die ich zu dir trage, wieder angefacht. Wie oft hab' ich dir's schon gesagt: ich kann keinen von euch weniger lieben als den andern. Alles, was Adis für mich empfindet, so teuer es meinem Herzen ist, kann mich nicht glücklich machen, wenn ich dir nicht die nehmlichen Empfindungen einzuflößen vermag. Mit einem Worte, liebenswürdiger Dahy: ich sterbe, wenn du dich nicht erbitten lässest. Kannst du gefühlloser sein als dein Bruder oder dich schämen, seinem Beispiele zu folgen? Oh, höre einmal auf zu widerstehen, wenn du nicht willst, daß ich mir vor deinen Augen einen Dolch ins Herz stoßen soll!›

Bei diesen Worten warf sie sich mit einem Strom von Tränen zu meinen Füßen und überhäufte mich mit so lebhaften Beweisen der heißesten Inbrunst, daß ich fürchten mußte, sie würde ihre Drohung wahr machen, wenn ich mich ihren Wünschen länger widersetzte. Ich bekenne es, ich wurde überwältigt; ich verlor die Kraft, länger zu widerstehen; kurz, ich wurde so schwach wie mein Bruder, zu dessen Verführung sich die listige Farsana (wie er mir hernach gestand) des nehmlichen Kunstgriffs bedient hatte. Eine natürliche Folge ihres über uns erhaltenen Sieges war, daß sich ihre Gesundheit in kurzer Zeit wiederherstellte; sie bekam ihre ganze Munterkeit wieder, wurde schöner als jemals und würde uns durch einen Reichtum von Liebe, der für beide groß genug war, vielleicht beide glücklich gemacht haben, wenn sie die Vorwürfe, womit unser Herz unsre Treulosigkeit an dem Brahminen bestrafte, zum Schweigen hätte bringen können. Bei allem dem führten wir einige Tage ein ganz angenehmes Leben, als unsere Sorglosigkeit uns auf einmal in das Unglück stürzte, dessen Folgen ich bis auf diese Stunde tragen muß.

Unter den Bedienten des Brahminen war ein sehr häßlicher schwarzer Sklave namens Torgut, dessen gewöhnliche Verrichtung war, eine tartarische Stute zu striegeln, welche Farsana zu reiten pflegte, wenn sie sich Bewegung im Freien machen wollte. Diesen häßlichen Unhold kam die Verwegenheit an, seine Augen bis zu seiner Gebieterin zu erheben und ihr eine Liebeserklärung zu tun. So übel gebaut er am Leibe war, so hatte ihn die Natur dafür mit einem sehr kurzweiligen Geiste begabt; und wenn er so neben seiner zu Pferde sitzende Gebieterin einherging, pflegte er sie mit allerlei drollichten Geschichtchen zu unterhalten, an welchen Farsana großes Belieben fand.

Einsmals fiel ihm ein, ihr von verschiedenen Mädchen vorzuschwatzen, von welchen er Gunstbezeugungen genossen zu haben vorgab. ‹Wie, Torgut›, sagte die Dame mit Lachen, ‹eine Figur wie du kann sich seines Glückes bei den Damen rühmen?› - ‹Warum das nicht›, antwortete der Schwarze; ‹bin ich etwa nicht so gut als ein anderer? Oh, wahrhaftig, wenn das wäre, so hätte ich meine Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn ich habe mir in den Kopf gesetzt, schöne Dame, die Liste meiner Eroberungen auch mit Euerm Namen zu vermehren.› Bei diesen Worten des Negers brach Farsana in ein noch größeres Gelächter aus; denn sie dachte nichts anders, als er sage es bloß, um ihr Spaß zu machen. ‹Du hast Absichten auf mich?› sagte sie. ‹Es ist mir lieb, daß ich's weiß; ich werde mich vor einem so gefährlichen Menschen, wie du bist, in acht nehmen zu wissen.› Torgut antwortete im nehmlichen Tone, und so kam es mit lauter Scherzen endlich so weit, daß der rohe Kerl aus Scherz Ernst machte und sich so benahm, daß Farsana sich genötigt sah, ihn nicht nur sehr ernsthaft und mit der Verachtung, die ihm gebührte, abzuweisen, sondern, weil er unverschämt genug war, ihren Unwillen noch immer für Scherz zu nehmen, ihm sogar zu drohen, daß sie sich bei dem Brahminen über seine Verwegenheit beklagen würde.

Der Neger wurde über eine Begegnung, die seinen vermeinten Verdiensten so schlecht entsprach, boshaft. Die gute Meinung, die er von sich selber hatte, ließ ihn nicht begreifen, daß ihm Farsana hätte widerstehen können, wenn ihr Herz nicht schon für einen andern begünstigten Liebhaber eingenommen gewesen wäre. Er nahm sich vor, sie genau zu beobachten, und es glückte ihm so gut, daß unser heimliches Verständnis mit ihr gar bald kein Geheimnis mehr für ihn war. Aus Neid und Rachgier entdeckte er es dem Brahminen, dem die Sache so unglaublich vorkam, daß er sie nur dem Zeugnis seiner eignen Augen glauben wollte. Um uns sicher zu machen, schützte er abermal eine Reise vor; aber er kam unzeitig genug wieder, um uns, mich und meinen Bruder Adis, mit Farsanen im Bade zu überraschen. Die Vorkehrungen, die wir gemacht hatten, um von niemand entdeckt werden zu können, halfen nichts gegen die Wissenschaft des Brahminen. Alle Türen öffneten sich ihm; der magische Nebel, der uns einhüllte, zerrann, und auf einmal stand Kansu als der furchtbarste Richter vor uns da. ‹Nichtswürdige›, sprach er, indem er einen Blick auf mich und meinen Bruder warf, der schon ein Anfang seiner Rache war, ‹die grausamsten Martern wären eine zu leichte Strafe für euer Verbrechen; aber ich will euch in einen so elenden Zustand herabstürzen, daß ihr das Vorrecht der Wesen euerer Art, nicht sterben zu können, als das äußerste Unglück beweinen sollt!› Und sogleich, ohne ein Wort zu unsrer Entschuldigung anhören zu wollen, fing er seine Beschwörungen an. In einem Augenblick erfüllte das Gemach, wo wir waren, die dickste Finsternis. Wir hörten den Donner mit schrecklichem Getöse über unsrer Scheitel rollen, die Erde zitterte unter unsern Füßen, und fürchterlich brüllende Wirbelwinde schienen den Untergang der Natur anzukünden. Wir blieben zwei ganzer Stunden in dieser entsetzlichen Finsternis und in bebender Erwartung der Strafe, die uns zubereitet würde. Endlich wurde es wieder so heiter als zuvor; aber wie groß war unser Erstaunen, als wir beide, ich und mein Bruder, uns, anstatt in einem prächtigen Palast und in dem herrlichsten Bade, mitten auf einer dürren Heide befanden, beide mit Lumpen bedeckt und in Gestalt zweier kleiner mißgestalteter Greise, so wie ich, schöne Kadidsche, in diesem Augenblick vor dir erscheine. ‹Undankbare›, sagte Kansu, ‹von diesem Augenblicke an seid ihr aller Vorrechte eurer Natur beraubt und zum Stande gewöhnlicher Menschen, wie ihr zu sein scheint, herabgesetzt. Ihr werdet nicht mehr wissen, nicht mehr vermögen als sie, und den Tod allein ausgenommen, werdet ihr allen Zufällen und allem Ungemach der Sterblichen unterworfen sein.›

Nachdem der Brahmine dieses Urteil über uns ausgesprochen hatte, verlangte er nun auch die Umstände unsers an ihm begangenen Hochverrats zu wissen. Wir erzählten ihm alles, von Anfang an, mit der größten Aufrichtigkeit: in welche Bestürzung uns Farsanens Erklärung gesetzt; welche Mühe wir uns gegeben, sie auf andere Gedanken zu bringen; wie lange und ernstlich wir uns gegen sie und gegen unsre eigene Neigung gewehrt; was für eine List die Dame gebraucht, um uns zu verführen; und wie schmerzlich uns der Gedanke sei, seinem Vertrauen so übel entsprochen zu haben.

Dieser Bericht und die Aufrichtigkeit unsrer Reue stimmte den Brahminen zu milderen Gesinnungen gegen uns herab. Er schien sich selbst zu tadeln, daß er unsre Treue einer so gefährlichen Prüfung ausgesetzt hätte; und da wir ihm immer sehr lieb gewesen waren, so konnte er sich nicht entbrechen, uns mit Mitleiden anzusehen. ‹Meine Kinder›, sprach er, ‹es ist nicht mehr in meiner Gewalt, euch eure vorige Gestalt ohne Bedingung wiederzugeben; aber ich will euch, soviel ich kann, die Strenge euers Schicksals erträglich zu machen suchen; und ihr werdet eure natürliche Figur mit allen ihren Vorrechten wiederbekommen., sobald jeder von euch ein Mädchen unter zwanzig Jahren, die ihn liebt, gefunden haben wird.› Mutlos schlugen wir bei diesen Worten die Augen nieder, denn es brauchte nur einen Blick auf uns Selbst, um uns alle Hoffnung, unter einer solchen Bedingung, auf ewig zu verbieten. Kansu erriet unsre Gedanken. ‹Wie unwahrscheinlich es auch immer sein mag›, sagte er, ‹daß ihr unter dieser Gestalt Liebe einflößen könntet, so ist es doch nicht unmöglich. Lebet dieser Hoffnung und seid versichert, daß ihr unter keiner andern Bedingung wieder in euern vorigen Stand gelangen könnt! Geht nun, Kinder, und erfüllt euer Schicksal! Ihr müßt euch trennen, damit jeder auf seiner Seite suchen könne, was er vonnöten hat.› Hierauf wies er jedem von uns einen gewissen Ort, ungefehr sechzig Meilen voneinander, zum gewöhnlichen Aufenthalt an, ließ uns anständige Kleider geben und jedem an Gold und Juwelen den Wert von fünfzigtausend Zechinen aus seinem Schatze auszahlen, damit wir während unserer Verbannung gemächlich leben könnten. Hierauf umarmte er uns und wünschte uns ein baldiges Ende unseres unglücklichen Zustandes.

Aber gegen die arme Farsana blieb er unerbittlich. Er verwandelte sie in einen Frosch und verbannte sie in einen Sumpf, wo er ihr den Sklaven Torgut zum Unglücksgefährten gab, nachdem er durch seine Kunst entdeckt hatte, daß dieser aus bloßer Rachgier zum Verräter an seiner Gebieterin worden war. Solchergestalt wurde der Ankläger und die Verklagte, beide in Frösche verwandelt, dazu verurteilt, ihr übriges Leben in dem nehmlichen Sumpfe zuzubringen, wo die Hoffnung, einander zu quälen, allenfalls noch der einzige elende Trost war, der ihnen übrigblieb.

Ohne dich, liebste Kadidsche, mit Beschreibung des traurigen Abschieds aufzuhalten, den wir Brüder mit so wenig Hoffnung, uns im nächsten Jahrtausend wiederzusehen, voneinander nahmen, will ich die Fortsetzung meiner Geschichte sogleich von der Stadt anfangen, die mir Kansu zum Hauptaufenthalt angewiesen hatte. Meine erste Sorge war, meine fünfzigtausend Zechinen (als das Kapital, von welchem ich vielleicht länger, als ich wünschte, leben sollte) in der Handlung geltend zu machen; worin es mir dann so gut gelang, daß ich in weniger als drei bis vier Jahren imstande war, ohne Nachteil meines Hauptstammes einen ganz artigen Aufwand zu machen. Wenn die Weissagung des Brahminen in Erfüllung gehen sollte, mußte ich also eine junge Person finden, die von so sonderbarem Geschmacke wäre, eine zärtliche Neigung für mich zu fassen. Glücklicherweise war das schöne Geschlecht in unsrer Stadt nicht so eingesperrt wie in den meisten Morgenländern, sondern lebte in einer anständigen Freiheit. Ich hatte also alle Tage Gelegenheit, Damen zu sehen. Ich machte ihnen artige kleine Geschenke, stellte ihnen zu Ehren kleine Lustpartien an und war bei allen öffentlichen Ergötzungen; kurz, ich tat mein möglichstes, um den Einfluß des Unglückssterns, der mich verfolgte, von mir abzuleiten. Auf diesem Wege machte ich mich in kurzem bei jedermann beliebt. ‹Die gute ehrliche Haut!› sagte man; ‹er ist aus lauter Fröhlichkeit und guter Laune zusammengesetzt. Was muß er erst in seiner Jugend gewesen sein, da er mit einem Fuß im Grabe noch so ein großer Liebhaber vom Vergnügen ist?› Vor allem erhoben mich die Weiber himmelhoch und stellten mich ihren Männern zum Muster vor. Die Sauertöpfe unter den Männern waren die einzigen, die über mein Betragen Glossen machten. ‹Was doch der Mensch für ein Narr sein muß›, sagten sie, ‹daß er noch immer nach Vergnügungen läuft, die er in seinem Alter nicht mehr genießen kann!› Ich, meines Ortes, der am besten wußte, wie und warum, ließ die Leute reden, was sie wollten, und ging meinen Gang fort. Indessen, wie ich's auch anstellte und wie viele Mühe ich mir gab, mit dem Liebeeinflößen wollte mir's gar nicht vonstatten gehen. Ich schränkte mich nicht auf die Stadt ein, wo ich wohnte, wiewohl es da nicht an jungen Mädchen fehlte; ich machte Reisen auf mehr als fünfzig Meilen in die Runde; aber alles, was ich dabei gewann, war die Überzeugung, daß ich nicht gefallen könne - ein Gedanke, der mich beinahe unsinnig machte, ohne gleichwohl meine Geduld zu überwältigen. Mehr als zweihundert Jahre sind schon über diesem vergeblichen Suchen hingegangen. Man wußte endlich nicht mehr, was man von mir denken sollte. Ich hatte die Welt schon viermal wieder jung gesehen und alle diejenigen begraben, die mich in ihrer Kindheit just so alt und abgelebt gesehen hatten als ihre Urenkel. Alle Leute sagten sich in die Ohren: ‹Was für eine Art von Mensch ist das? Man sieht gar keine Veränderung an ihm.› Die ältesten Greise zeigten mich ihren Kindeskindern mit dem Finger: ‹Seht da den guten alten Dahy›, sagten sie. ‹Bildet euch nicht ein, daß ich ihn jemals jung gekannt habe. Er war bei meinem Denken immer so alt und gebrechlich, wie ihr ihn jetzt seht, und ich hörte in meiner Jugend meinen Großvater sagen, er habe ihn nie anders gesehen.› Du kannst dir leicht vorstellen, meine Liebe, daß ich wenig Freude daran hatte, ein solches Wunder in den Augen der Leute zu sein. Die Hoffnung, welche mir Kansu gelassen hatte, wurde indessen immer stärker, je länger sie mich schon getäuscht hatte; ich machte immer neue, wiewohl immer fruchtlose Reisen; und so geschah es endlich, da ich eben im Begriff war, von Masulipatnam wieder nach Hause zu kehren, daß ich dir und deiner Schwester in den Weg kam. Was ich euch damals sagte, holde Kadidsche, zeigte dir deutlich genug, wie sehr mich dein Anblick bezauberte; aber leider! sah ich zugleich nur gar zu wohl, wie unangenehm dir der meinige war.»

Die Stimme brach dem guten alten Manne bei dieser Vorstellung; er hörte auf zu reden, und Kadidsche, die von seinem Unglück würklich gerührt war, hätte ihm gerne was Tröstliches gesagt, und sagte ihm würklich alles, was ihm ihr mitleidiges und erkenntliches Herz beweisen konnte, nur nicht das einzige, wovon sein Glück abhing; und dies war es doch allein, was er zu hören wünschte. Sie gerieten öfters in kleine Wortwechsel darüber, wobei beider Geduld mehr als einmal zu reißen drohte. Dahy beklagte sich über ihre Härte und Kadidsche über seine Unbilligkeit; und immer endigte sich ihr Streit damit, daß beide über sich selbst ungehalten waren; er, daß er ihr das Unmögliche zumuten wollte, sie, daß es ihr unmöglich war, einen Mann zu lieben, dem sie doch so herzlich gerne hätte geholfen sehen mögen. Übrigens, wenn das holde Mädchen seufzte (welches ihr oft genug begegnete), so geschah es nicht immer aus Mitleiden mit dem armen Dahy. Ihr kleines Herz hatte ganz in geheim seine eigenen Beklemmungen. Es war ihr unmöglich, sich den schönen Jüngling mit den dichtlockichten gelben Haaren aus dem Sinne zu bringen; sein Bild stahl ihr manche Stunde von ihrem Schlaf. Seine Ähnlichkeit mit der Beschreibung, welche der alte Dahy von dem, was er vor seiner Verwandlung gewesen sei, gemacht hatte, und die Worte: «Betrachte mich wohl, denn du siehest denjenigen, den dir das Schicksal zum Gemahle bestimmt hat», erweckten ihr Gedanken, aus welchen sie sich nicht herauszuhelfen wußte. «Sollte wohl», dachte sie zuweilen, «Dahy selbst dieser Gemahl sein, der mir bestimmt ist?» Wie liebenswürdig fand sie ihn unter der Gestalt, worin er ihr im Traum erschienen war! Aber dann brauchte es nur einen einzigen Blick auf den Dahy, der würklich vor ihr stand, um zu fühlen, daß es ihr immer unmöglich sein werde, die Bedingung zu erfüllen, unter welcher sie ihm seine ursprüngliche Gestalt und ewige Jugend wiedergeben könnte. Und doch war ihr ein Jüngling von dieser Gestalt zum Gemahl bestimmt! Und Kansu hatte den unglücklichen Brüdern Hoffnung gemacht, daß sie endlich die Mädchen finden würden, die ihrer Bezauberung ein Ende machen sollten!

Inzwischen hatte das Schiff, worauf sie sich befanden, in vierzehn Tagen mehr als fünfhundert Seemeilen zurückgelegt, und sie konnten, nach Dahys Rechnung, nicht weit mehr von der Küste, wohin ihr Lauf gerichtet war, entfernt sein: als der Wind sich auf einmal umlegte und ein heftiger Sturm sie mit solcher Gewalt in die weite See hineintrieb, daß es ihnen unmöglich war, länger einen gewissen Lauf zu halten. Sie wurden etliche Tage lang hin und her getrieben und endlich an eine Insel geworfen, die weder dem Schiffshauptmann noch einem von seinen Leuten bekannt war.

Sie erblickten eine große Stadt, die in Gestalt eines halben Mondes sich über das Ufer erhob und einen geräumigen und bequemen Hafen bildete. Kaum waren sie in denselben eingelaufen, so sahen sie sich von allen Seiten mit einer Menge kleiner Boote umringet, aus welchen eine unendliche Menge menschenähnlicher Dinge hervorwimmelte, die mit unglaublicher Behendigkeit an ihrem Schiffe hinaufkletterten. In ihrem Leben hatten unsre Reisenden keine so seltsame Geschöpfe gesehen. Sie waren alle klein, häßlich und übel gebaut und hatten etwas so lächerlich Verzerrtes in ihrer Gesichtsbildung, eine so groteske Lebhaftigkeit in ihren Bewegungen und Gebehrden, mit einem Worte: etwas so Affenmäßiges in ihrem ganzen Wesen, daß, wenn sie nicht eine Sprache, die unsern Reisenden bekannt war, gesprochen hätten, man sie eher für eine Art von Waldteufeln als für Menschen hätte halten sollen. Ihre Kleidung war ebenso seltsam als ihre Figur und ihre Manieren. Sie hatten hohe dreieckichte Hüte von buntem Kartenpapier auf dem Kopfe und trugen lange Röcke von baumwollenem Zeuge, die über und über mit gelben, blauen und grünen Klecksen und grotesken Figuren bemalt waren und das abgeschmackte Aussehen dieser sonderbaren Insulaner nicht wenig vermehrten. In wenig Augenblicken war das ganze Schiff dermaßen mit ihnen angefüllt, daß die Leute im Schiffe sich kaum regen konnten und, weil Widerstand hier zu nichts geholfen hätte, alles mit sich anfangen lassen mußten, was ihnen beliebte. Es zeigte sich gar bald, daß sie, vermöge der Gesetze ihrer Insel, alles, was auf dem Schiffe war, als ein ihnen zugefallenes Eigentum behandelten. Diesem zufolge war ihr erstes, daß sie alle Personen vom Equipage in eine lange Reihe stellten, eine nach der andern von vorn und hinten besahen, die Haare und Zähne sehr aufmerksam untersuchten und vornehmlich die Runzeln, wenn sie deren in einem Gesichte antrafen, mit vieler Genauigkeit abzählten. Die Leute hätten sich über die Grimassen, die sie dazu machten, totlachen müssen, wenn das Erstaunen und die Ungewißheit, was in den Händen solcher Unholden aus ihnen werden würde, sie nicht wider Willen ernsthaft gemacht hätte.

Sie fingen schon an, einige alte Matrosen auszusondern, und schienen sie mit besonderer Achtung zu unterscheiden, als sie Dahy, Kadidsche und die alte Sklavin erscheinen sahen, die sich bisher noch in der Kajüte verborgen hatten und also nicht mit in den Reihen gekommen waren. Bei diesem Anblick kam der Befehlshaber, der eine ansehnliche Stelle am Hofe der Königin dieser Insel bekleidete, vor Entzücken ganz außer sich. Besonders verweilten seine Augen auf der alten Sklavin, die er auf den ersten Blick so liebenswürdig fand, daß er sich auf der Stelle entschloß, sie an die Spitze seines Harems zu setzen. Er warf sich ihr zu Füßen, erklärte ihr seine Leidenschaft in den feurigsten Ausdrücken und beschwor sie, das Opfer seines Herzens günstig aufzunehmen. Da es vergebens gewesen wäre, hier die Spröde machen zu wollen, so ergab sich die alte Sklavin mit guter Art und machte ihn dadurch, wie es schien, zum glücklichsten aller Menschen. Er übergab sie unverzüglich dem vertrautesten unter seinen Dienern, sagte ihm, daß er mit seinem Kopfe für sie stehen würde, und empfahl ihm über alles, ja auf seiner Hut zu sein, daß sich niemand die geringste Freiheit bei ihr herausnehmen könnte.

Der weise Dahy wußte nicht, wie er sich einen so verkehrten Geschmack erklären sollte. «Die Weiber müssen was sehr Rares in dieser Insel sein », sprach er bei sich selbst, «weil sogar ein altes Hausratsstück wie diese Sklavin fähig ist, einen so starken Eindruck zu machen.» Dieser Gedanke setzte ihn Kadidschens wegen in große Unruhe, deren Reizungen unfehlbar schreckliche Folgen für ihn haben würden; aber es zeigte sich bald, daß er sich vergebliche Sorge gemacht hatte. Seine junge Geliebte hatte nichts, das ihr in den Augen dieser Insulaner einen Wert gab; und wofern sie bei ihnen einige Gefahr lief, so war es wenigstens nicht diejenige, die er befürchtete. Der Befehlshaber hatte kaum die alte Sklavin in seinen Harem abführen lassen, als er von ungefehr einen Blick auf die junge Person fallenließ. Erstaunt, sie so reich gekleidet zu sehen, sagte er in einem rauhen Tone zu ihr: «Für ein so häßliches Tierchen bist du gut genug angezogen, kleines Mädchen!» Und sogleich befahl er einem seiner Bedienten, das garstige Ding in seine Gesindewohnung abzuführen und sie zu den niedrigsten Verrichtungen anzuhalten. Eine so unwürdige Behandlung war mehr, als das gute Mädchen, die immer der zärtlichsten Begegnung gewohnt gewesen war, ertragen konnte. Sie brach in einen Strom von Tränen aus und bat ihren alten unvermögenden Beschützer mit aufgehobenen Händen, sich ihrer anzunehmen. Die Bewegung, die er in diesem Augenblick gegen sie machte, und sein ängstliches Geschrei, da er sie mit Gewalt wegschleppen sah, zog auf einmal die Aufmerksamkeit der Insulaner auf ihn. Seine kleine zusammengekrümmte Figur, seine kurzen auswärtsgebogenen Beine, seine Runzeln und Triefaugen, seine grüngelbe verschrumpfte Haut, die behaarten Warzen, die sein Gesicht bedeckten - kurz, alles, was Kadidschen widerlich und ekelhaft an seiner Person war -, wurde der Gegenstand der Bewunderung dieses widersinnischen Volkes. Ihr Erstaunen war so groß, daß es eine Weile stumm blieb; aber auf einmal brach es in Ausdrücke der lebhaftesten und unmäßigsten Freude aus, und man hörte von allen Seiten nichts als ein verwirrtes Getöse von Lobeserhebungen und Jubelgeschrei. Der Befehlshaber selbst vergaß auf einen Augenblick den Wohlstand seiner Würde und ließ sich von der allgemeinen Schwärmerei hinreißen. Aber er faßte sich sogleich wieder, warf sich dem bewunderten Greise zu Füßen, stieß mit seinem spitzigen Hut von Pappe gegen den Boden und bat ihn in den ehrerbietigsten Ausdrücken um Vergebung, daß man ihm die gebührende Ehre nicht eher erwiesen habe.

«Ich, meines Orts, bekenne», fuhr er fort, «daß ich von dem Glanze der schönen Dame aus Eurem Gefolge, die nun in meinem Harem ist, zu stark geblendet war, um meiner selbst mächtig zu bleiben. Indessen, wie sehr ich auch für sie eingenommen bin, muß ich gestehen, daß Eure Schönheit alles übertrifft, was in dieser Insel jemals gesehen worden. Erlaubet, daß man Euch in den Palast unsrer Königin Scheherbanu führe. Ich bin gewiß, diese große Fürstin wird von Euerm Anblick bezaubert werden und Euch alle Ehrenbezeugungen, wozu Ihr berechtigt seid, erweisen lassen.» Der Befehlshaber wollte fortfahren, ihm das Glück anzupreisen, das ihn erwartete, als ihm Dahy, dem die Geduld ausging, in die Rede fiel und sagte: «Anstatt mir solch abgeschmacktes Zeug vorzuschwatzen, gebt mir die junge Person wieder, die Ihr mir weggenommen habt!» - «Wen?» antwortete der Befehlshaber; «den kleinen Wechselbalg? Ah, schöner Greis, fasset Gesinnungen, die Eurer würdiger sind, und denket jetzt nur darauf, wie Ihr unsrer großen Königin gefallen wollt, vor welche wir Euch zu führen im Begriff sind.» Mit diesen Worten packte er und sein Lieutenant den guten Alten unter den Armen, und führten ihn, wie sehr er sich auch sträubte, nach dem Palaste der Königin ab.

Dahy, der diese Gewalt, die man gegen ihn brauchte, als eine leichtfertige Verspottung seiner Figur und seines Alters ansah, stellte darüber schmerzliche Betrachtungen an. «Welch ein unseliges Schicksal!» sprach er zu sich selbst, indem man ihn fortschleppte. «Wer dächte, daß ein Genie zu diesem Grade von Unmacht und Unvollkommenheit erniedrigt werden könnte? Es ist wahrlich keine der erträglichsten Folgen meines Unglücks, daß ich mir gefallen lassen muß, den Kindern Adams zum Spielwerke zu dienen.»

So natürlich dieser Gedanke auf seiner Seite war, so fehlte doch sehr viel, daß er den Insulanern dadurch ihr Recht angetan hätte. Denn in der Tat war es ihnen mit allem, was sie ihm sagten, völliger Ernst. Die Königin selbst, sobald sie ihn erblickte, konnte sich nicht enthalten, ihn zu bewundern und ihm die Leidenschaft, die sie für ihn zu empfinden anfing, in den schmeichelhaftesten Ausdrücken zu erkennen zu geben. Sie pries den Tag glücklich, an welchem ihrem Reiche das Heil widerfahren sei, von einer so wundervollen Person besucht zu werden; und wiewohl sie sich Gewalt antat, ihm nicht sogleich den ganzen Umfang der Zärtlichkeit zu zeigen, die er ihr einflößte, so sagte sie doch genug, um die Hofleute über das, was in ihrem Herzen vorging, nicht in Ungewißheit zu lassen; und diese verstunden ihr Handwerk zu gut, als daß sie nicht auf den ersten Wink in die Gesinnungen der Königin eingegangen wären. Der alte Dahy wurde diesem nach mit den ausschweifendsten Ehrenbezeugungen überhäuft und, nachdem alle Großen des Reichs ihm, mit gebogenen Knien und abgenommenen Mützen, gehuldigt hatten, auf Befehl der Königin in ein nach Landesart prächtiges, mit bunten Strohmatten möbliertes Gemach begleitet, welches sie ihm, ganz nahe an ihrem eigenen, zur Wohnung angewiesen hatte.

Die gute Königin konnte nicht länger warten, als bis die Hofleute sich wieder entfernt hatten, ihrem bezaubernden Gast einen geheimen Besuch zu geben und ihm, kraft ihres königlichen Vorrechts, einen Liebesantrag zu tun, den der Alte, wie empfindlich ihm auch die vermeinte Verspottung war, doch anfangs, als einen gnädigen Scherz, mit aller Ehrerbietung, die er einer Dame von ihrem Rang schuldig war, beantwortete. Da er aber aus ihren Antworten sah, daß es würklich Ernst war und Ihre Majestät immer feuriger und dringender wurde, je mehr er sich zurückzog, so überlief ihm endlich die Galle, und er konnte sich nicht länger halten, ihr, mit Hintansetzung alles Respekts, Dinge zu sagen, die noch keiner Königin gesagt worden sind und die keine Königin, wie sehr sie auch für den Redner eingenommen sein möchte, mit Gelassenheit anhören kann. Gleichwohl hielt sie ihren Unwillen zurück und machte noch verschiedene Versuche, ihn mit Sanftmut auf bessere Gedanken zu bringen. Da aber alles nichts verfangen wollte und Dahy vielmehr immer beleidigender in seinen Ausdrücken wurde, so ließ sie den Hauptmann ihrer Wache rufen. «Führet mir», sagte sie zu ihm, «diesen Alten in den schwarzen Turm, wo er dem andern Gesellschaft leisten mag, der die Zärtlichkeit meiner Schwester Mulkara verschmäht hat. Sie werden dort Gelegenheit finden, sich's gereuen zu lassen, daß sie die Grausamen mit uns haben spielen wollen.» Nach diesen Worten entfernte sich Ihre Majestät mit gebührendem Stolze, und ihr Befehl wurde stracks vollzogen.

Dahy ließ sich ganz willig nach dem schwarzen Turme abführen und stellte sich's als keinen geringen Trost in seinem Unglücke vor, daß er einen andern ebenso unglücklichen Alten daselbst zum Gesellschafter haben würde. Aber wie groß war sein Erstaunen, da er beim ersten Blick in dem Gefährten seiner Trübsale seinen Bruder Adis erkannte! Sie gingen mit offnen Armen aufeinander zu und hielten sich mit tränenvollen Augen eine lange Zeit umarmt, ohne ein Wort hervorbringen zu können. Indessen fanden sie doch zuletzt die Sprache wieder, und man kann sich leicht vorstellen, wieviel zwei Brüder, die sich so zärtlich liebten, sich seit mehr als zweihundert Jahren nicht gesehen hatten und nun wieder durch die alte Gleichförmigkeit ihres Schicksals zu einerlei Leiden vereinigt waren, einander zu sagen haben mußten. Natürlicherweise gab ihr gegenwärtiger Zustand und der widersinnige Geschmack der Einwohner dieser Insel, wovon er die Folge war, den ersten Stoff zu ihren Gesprächen. «Begreifst du was davon?» sagte Dahy zu seinem Bruder. «Es ist freilich ein albernes Gesindel um diese Adamskinder. Ich kenne wohl Völker, bei denen eine platte Nase, kleine Schweinsaugen, ein spitziger Kopf und ein Hängebauch für Schönheiten gelten. Aber wie man über Figuren wie die unsrige in Entzückung geraten kann, davon habe ich keinen Begriff.» - «Ich will dir das Rätsel mit zwei Worten auflösen», versetzte Adis. «Diese Insulaner haben einen großen häßlichen Affen zum Gott, und dieser Gott hat Priester. Wenn du die Sache nun nicht begreifst, so kann ich dir nicht helfen. Wo ein Affe das Urbild der Vollkommenheit ist und Tempel und Priester hat, da geht es ganz natürlich zu, wenn seine Anbeter nach und nach zu Affen werden. Ein jedes Volk bildet sich unvermerkt nach seinem Gotte.»

Dahy hatte nichts gegen diese Auflösung einzuwenden, als - daß ihr Schicksal dadurch nicht besser wurde. Sie fingen hierauf an, einander zu fragen, wie es jedem in der langen Zeit ihrer Trennung ergangen sei, und Dahy ermangelte nicht, seinem Bruder die ganze Geschichte seiner Bekanntschaft mit Kadidschen zu erzählen und alles, was ihm seit derselben begegnet war, ohne den geringsten Umstand auszulassen. Sobald er damit fertig war, sagte Adis: «Was du mir da erzählt hast, läßt mir keinen Zweifel übrig, daß unser Unglück bald ein Ende nehmen wird. Ja, mein lieber Bruder, wir sind dem Augenblick nahe, der uns unsre eigene Gestalt und mit ihr die Rechte unsrer Gattung wiedergeben wird, deren wir schon so lange beraubt sind. Du wirst ebensowenig daran zweifeln als ich, wenn du gehört haben wirst, was ich dir erzählen will.

Ich hatte mir in dem Lande, welches mir der Brahmine Kansu angewiesen, bereits über zweihundert Jahre lang vergebens alle Mühe von der Welt gegeben, eine junge Schöne zu finden, die sich in meine abscheuliche Figur verlieben könnte, als mir einsmals eine junge Bäurin von siebzehn bis achtzehn Jahren im Traum erschien, die mir sagte: ‹Du hoffest umsonst, das Ende deiner Verbannung in dieser Stadt zu finden. Wenn du dieses Wunder erleben willst, so schiffe dich nach der Insel Sumatra ein. Betrachte mich wohl, denn du siehest in mir diejenige, die dir das Schicksal zur Gemahlin bestimmt hat.› Das Mädchen war von ungemeiner Schönheit. Ich fühlte mein Herz bei ihrem Anblick in Liebe entbrennen; ich wollt' es ihr sagen, aber sie verschwand, und ich erwachte. Dieser Traum schien mir mehr als ein gewöhnlicher Traum zu sein. Ich betrachtete ihn als einen geheimen Fingerzeig, schiffte mich nach Sumatra ein und wurde, wie du, durch einen Sturm, den ich nicht für natürlich halte, auf diese Insel geworfen. Hier begegnete mir mit der Prinzessin Mulkara, welche damals in Abwesenheit ihrer Schwester regierte, alles, was dir mit der Königin Scheherbanu begegnet ist. Sie erklärte mir ihre Liebe; ich glaubte, sie treibe ihren Scherz mit mir; sie überzeugte mich vom Gegenteil und erhielt die Antwort, die du dir vorstellen kannst. Sie wurde dringend, ich wurde ungeduldig; wir erhitzten uns endlich beide, und das Ende davon war, daß ich in diesen Turm geworfen wurde, wo ich so lange büßen soll, bis ich mich geneigt finden werde, zu den Füßen meiner Prinzessin die ihren Reizungen zugefügte Beleidigung wiedergutzumachen. Unter dieser Bedingung könnte ich wohl ewig in diesem Turme schmachten müssen; aber daß wir uns so unverhofft hier zusammenfinden und die Mittel, die uns zusammengebracht haben, und die wunderbare Ähnlichkeit meines Traumes mit dem Traume deiner Geliebten und die Ähnlichkeit der jungen Bäurin, deren Bild seitdem nicht aus meiner Seele gekommen ist, mit ihrer Schwester Fatime: das alles überredet mich, daß eine verborgene Hand im Spiele ist, und daß wir...»

Ehe Adis seine Rede vollenden konnte, öffnete sich die Tür ihres Kerkers, und der Hauptmann der Leibwache trat herein. Er stieß abermal mit seiner spitzigen Mütze gegen den Fußboden und redete die beiden Brüder also an: «Glorwürdigste unter allen Greisen, ich komme im Namen unsrer erlauchten und mildherzigen Fürstinnen, euch anzukünden, daß sie alles, was ihnen an euerm Betragen hätte mißfällig sein können, in den Abgrund der Vergessenheit versenkt haben. Zu dessen Beweis und aus Überzeugung, daß eine so übermenschliche Schönheit wie die eurige nur das Anteil der Familie des großen Affen sein kann, haben sie mit Beistimmung der ehrwürdigen Priesterschaft beschlossen, daß sein Tempel von nun an eure Wohnung sein und daß euch daselbst alle die Ehre widerfahren soll, wozu ihr als nahe Verwandte desselben berechtigt seid.»

Die beiden Brüder waren über diesen neuen Ausbruch der seltsamen Torheit dieses abenteuerlichen Volkes nicht wenig betroffen und hatten schlechte Lust, die Hauptpersonen des neuen Possenspiels zu sein, das man mit ihnen spielen wollte. Indessen, weil doch, Kerker gegen Kerker, ein Tempel immer besser war als der schwarze Turm und weil sie entschlossen waren, ihrem Schicksal in allen Dingen nachzugeben, so folgten sie dem Hauptmann gutwillig nach der Pagode, wo sie von dem Oberpriester und den übrigen Dienern des Tempels an der Pforte mit großer Feierlichkeit empfangen wurden. Die Königin, ihre Schwester, der Hof und die ganze Stadt waren bereits zugegen; es wurden Hymnen den beiden Vettern des großen Affen zu Ehren angestimmt; und nachdem man sie, unter einer Menge possierlicher Zeremonien und Kniebeugungen, wohl besungen und beräuchert hatte, ließ man sie auf ein großes, sieben Fuß hohes Gerüste steigen, wo zwei prächtige Thronen von bunten Strohmatten für sie bereitet waren. Die beiden Brüder nahmen geduldig ihren Platz; und während die Priester die Zurüstungen zu dem Opfer machten, das ihnen auf dem Altare, hinter welchem das Gerüste aufgerichtet war, dargebracht werden sollte, tanzte ein Chor junger Mädchen singend um den Altar, und die Augen aller Anwesenden waren in schwärmerischer Entzückung auf die neuen Götter gerichtet, die in den Talaren von buntem Stroh, womit man sie behangen hatte, eine sehr komische Figur machten und so aussahen, als ob sie an allem diesem Unsinn kein sonderliches Belieben fänden. Aber plötzlich wurde Gesang und Tanz und Opfer durch eine Begebenheit unterbrochen, die der Freude und Andacht der Anwesenden auf einmal ein schreckliches Ende machten. Adis und Dahy verloren die Gestalt abgelebter Greise und glänzten wieder in ihrer eigenen. Auf ihren Stirnen und Wangen blühte wieder die Blume der ewigen Jugend auf, dichtes blondes Haar wallte in großen Locken um ihren milchweißen Nacken; kurz, sie wurden auf einmal wieder, was sie waren, als Farsana zu ihrem Unglück ein zu zärtliches Auge auf sie warf. Welch eine fürchterliche Verwandlung in den Augen der Insulaner! Ein allgemeiner gräßlicher Schrei verkündigte die allgemeine Bestürzung. Die Priester, die eine so unnatürliche Verwandlung für ein Wunder von böser Vorbedeutung hielten, rannten in größter Verwirrung davon; die Mädchen, die um den Altar tanzten, wandten voller Schrecken um und flohen; die Königin und die Prinzessin, ihre Schwester, deren Zärtlichkeit sich auf einmal in Abscheu verwandelte, eilten in ihren Palast zurück. In einem Augenblicke war die ganze Pagode leer, und die beiden Genien blieben allein und staunten einander an. Da sie aber mit ihrer Gestalt auch ihre übrigen Vorzüge wiedererhalten hatten, so erkannten sie sogleich, daß ihre Bezauberung durch zwei junge Personen aufgelöset worden war, die sich während der Zeremonien in ihre Greisengestalt verliebt hatten und aus Ekel vor ihrer jetzigen mit den übrigen davongelaufen waren.

Sie bezeugten einander noch ihre Freude über diese glückliche Überraschung, als sie den Brahminen Kansu mit Fatimen an der Hand in die Pagode treten sahen. Auf den ersten Blick erkannte Adis das reizende Bauernmädchen seines Traumes. «Ah!» rief er mit Entzücken, «das ist sie, das holde Mädchen, dessen Bild so fest in meinem Herzen sitzt!» - «Ja, Adis, da ist sie», sagte der Brahmine; «Um Euer Glück vollständig zu machen, habe ich sie mitgebracht. Sie war, seitdem sie von ihrer Schwester getrennt wurde, in meinem Schutze. Endlich, meine Kinder», fuhr er fort, «habe ich die Freude, euch wieder aus dem traurigen Zustande gezogen zu haben, in welchen mein zu rascher Zorn euch versetzte. Es war mir schmerzlich, euch so lange darin zu sehen; aber es war unmöglich, das, was ich für euch getan habe, früher zu tun. Denn ich bin es, Dahy, der dich die beiden Schwestern finden ließ, die dazu bestimmt sind, euch alle eure Leiden durch ihre Liebe zu vergüten. Ich bin der Urheber der Träume, die den Gedanken, nach Sumatra zu reisen, in euch erweckten; und ich habe euch durch von mir erregte Stürme an diese Insel geworfen, weil ich wußte, was da geschehen würde. Ja, ich läugne nicht, daß ich, zu Beförderung meiner Absicht, der gewöhnlichen Narrheit dieser äffischen Insulaner durch meine Kunst ein wenig nachgeholfen habe. Nun fehlt uns nur noch eine Person. Dahy, geh, hole Kadidschen, und mach ihr das Vergnügen, ihre Schwester und den schönen Jüngling ihres Traumes wiederzusehen.»

Dahy flog wie ein Blitz in die Küche des Hauptmanns von der Leibwache und brachte Kadidschen in die Pagode. Die Umarmungen der beiden Schwestern, das Entzücken der beiden Brüder und die Freude des alten Brahminen über das Glück dieses doppelten Paares, welches sein Werk war, machten eine Szene, die über alle Beschreibung geht. Ihr Glück vollkommen zu machen, gab Kansu den beiden Genien auch ihre Freiheit wieder und erlaubte ihnen, mit ihren Geliebten zu leben, wo es ihnen beliebte. Er verschwand hierauf aus ihren Augen, und die beiden Brüder flogen mit den schönen Schwestern in eine Insel von Dschinnistan, die, von ihnen bewohnt und bevölkert, ein Nachbild des irdischen Paradieses wurde.

 

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